U. Hillemann: Asian Empire and British Knowledge

Cover
Title
Asian Empire and British Knowledge. China and the Networks of British Imperial Expansion


Author(s)
Hillemann, Ulrike
Series
Cambridge Imperial and Post-colonial Studies Series
Published
Basingstoke 2009: Palgrave Macmillan
Extent
262 S.
Price
$ 52.25
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Jürgen Osterhammel, Fachbereich Geschichte, Universität Konstanz

Noch ein Buch über das westliche „Chinabild“ oder, zeitgemäßer gesprochen, über die diskursive Konstruktion eines chinesischen „Other“? Ja und Nein. Auf der einen Seite reiht sich diese in Cambridge entstandene Dissertation in einen breiten Strom von Literatur über die Darstellung und Bewertung Chinas in europäischen Texten ein. Forschungen dieser Art reichen bis in die 1920er-Jahre zurück; sie standen während der drei letzten Jahrzehnte vielfach unter dem Einfluss von Edward Saids Orientalismus-Kritik. Andererseits geht die Untersuchung über eine ideengeschichtliche oder diskursanalytische Textimmanenz hinaus, in dem sie die Entstehung von „Wissen“ über eine „andere“ Zivilisation und damit ebenso über sich selbst im Zusammenhang spezifischer Interaktionen studiert.

Das Buch behandelt einen Zeitraum, der bisher im Vergleich zu anderen Perioden eher vernachlässigt wurde: die Zeit von der Etablierung britischer Territorialherrschaft in Bengalen in den 1760er-Jahren bis zum Vorabend des Opiumkriegs zwischen Großbritannien und China (1839-1842). Auf diese Periode ist bis zum heutigen Tag immer wieder das Klischee vom Übergang von der „Sinophilie“ zur „Sinophobie“ angewendet worden. So einfach macht es sich Ulrike Hillemann zum Glück nicht.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. In der Einleitung wird in mehreren Anläufen der Versuch unternommen zu erläutern, worum es gehen soll. Zwei tragende Konzepte werden eingeführt, ohne dass der Zusammenhang zwischen ihnen hinreichend geklärt würde: Netzwerk und Kontaktzone. Repräsentationen Chinas, so die Ausgangsthese, seien aus „networks of imperial expansion“ hervorgegangen. Auch später bleibt undeutlich, wie man sich das „shaping“ von „imaginations“ durch die manchmal als Akteure eigenen Rechts behandelten Netzwerke vorstellen soll. Der leitende Theoretiker scheint Bruno Latour zu sein, doch tauchen er und seine Ideen später im Laufe der Analyse nie wieder auf. Das zweite fundierende Konzept ist die von Mary Louise Pratt entliehene Idee von „contact zones“. Die Verfasserin scheint diesem Konzept so wenig zu trauen, dass sie es während des ganzen Buches ausnahmslos in distanzierende Anführungszeichen einschließt. Schon bei Pratt kann von einer theoretischen Ausarbeitung keine Rede sein. Bei Hillemann bleibt von Anfang bis Ende das Problem ungelöst, ob es sich bei solchen „contact zones“ um konkret benennbare Räume der Interaktion handelt oder um räumlich gar nicht greifbare imaginäre Orte der Ko-Präsenz. Was den übrigen konzeptionellen Apparat betrifft, so ist man erleichtert, dass hier nicht abermals die Orthodoxien der Said-Schule als neueste Erkenntnisse offeriert werden. Später wendet sich Ulrike Hillemann sogar ausdrücklich gegen den Mythos eines homogenisierenden „Orientalismus“ und kritisiert plausibel die Annahme einer einheitlichen britischen Imagination Chinas. Aber die eigenen theoretischen Begründungsversuche sind etwas wackelig. Das Buch ist besser als sein konzeptioneller Rahmen.

Bevor die gelungensten Teile des Buches – die Kapitel 3 und 4 – erreicht werden, muss man sich allerdings noch durch ein Kapitel mit der Überschrift „The Decline of Mythical China“ hindurchquälen, in dem wenig Neues gesagt und zunächst genau jene kontextfreie Ideengeschichte praktiziert wird, die in diesem Buch eigentlich überwunden werden soll. Unsicherheiten im Detail schwächen das Vertrauen des Lesers: der Schriftsteller Oliver Goldsmith bekommt den Vornamen „William“ zugelegt, der Eroberer Bengalens taucht als „Lord John Clive“ auf; die Debatte des 18. Jahrhunderts um den „orientalischen Despotismus“ erscheint in extrem reduzierter Form. Auch werden in diesem Kapitel die beliebten moralischen und epistemologischen Fallen konstruiert, bei denen die „Orientalismus“-Kritik den historischen Subjekten keine Chance lässt: dem bedeutenden Maler und Zeichner William Alexander, der 1792/93 die Gesandtschaft Lord Macartneys nach China begleitete, wird einerseits vorgeworfen, kein „objektives“ Bild von China geliefert zu haben. Wenn Alexander andererseits – was man von einem Künstler erwarten würde – seinen Gegenstand in der Darstellung „imaginiert“, dann trifft ihn die Kritik, er habe in „ethnographischer Manier“ die Chinesen als Typen und nicht als lebendige Individuen dargestellt. Was immer er auch tut, den künstlerischen Betrachter der Vergangenheit trifft die Anschuldigung, der „Fremdheit“ des Gesehenen nicht gerecht zu werden. Entweder verfremdet er zu sehr und objektiviert in orientalistischer Weise, oder er nivelliert Differenz und macht sich eines assimilierenden Ethnozentrismus schuldig. Widersprüchlichkeiten dieser Art schwächen die Überzeugungskraft dessen, was im zweiten Kapitel über die Chinoiserien des späten 18. Jahrhunderts gesagt wird.

Im zweiten Kapitel („At the China Coast“) werden solche Ungereimtheiten seltener. Zur oft dargestellten Macartney-Mission wird nichts Neues gesagt, allenfalls der nicht sehr weit tragende Hinweis gegeben, Lord Macartneys frühere Erfahrung in der Administration Indiens habe seine Deutung Chinas beeinflusst. Origineller sind dann Diskussionen der Kollision von britischen und chinesischen Rechtskulturen unter dem System des „Canton-Handels“, der Rolle von Dolmetschern im Kontakt zwischen Europäern und Chinesen sowie des Beharrens britischer Repräsentanten in China auf der „Würde“ ihrer Nation in den Jahren, die dem Opiumkrieg vorausgingen. Eine zentrale Figur ist Robert Morrison, der als erster protestantischer Missionar 1808 nach China kam und, wie später dargestellt wird, zu einem Gründervater der britischen Sinologie wurde. Teils wird Morrison als „evangelical“ (also im Deutschen: „evangelikal“) bezeichnet, teils als das schiere Gegenteil eines solchen Pietismus, nämlich als ein Rationalist unter dem Eindruck der Aufklärung. Die besondere theologische Zwischenstellung Morrisons entzieht sich dem Verständnis der Autorin, und ein Gipfel der anachronistischen Fehlrepräsentation wird erreicht, wenn Morrison und anderen frühen Missionaren vorgeworfen wird, sie hätten die ältere Einsicht der Jesuiten in die Nähe des „original Monotheism“ der Chinesen zum Christentum verfehlt.

Der eigentliche Erkenntnisgewinn, den das Buch bringt, findet sich im vierten Kapitel, für das nicht zufällig auch die größte Menge an neuem – gedrucktem wie archivalischem – Material erschlossen wurde. Hier zeigt Ulrike Hillemann vollkommen überzeugend, dass britisches Wissen über China nicht nur und nicht einmal vorrangig in Kontaktzonen im Kaiserreich selbst, also bei Hofe in Peking und in den Faktoreien in Canton (Guangzhou) entstand, sondern dort, wo Briten außerhalb des sino-mandschurischen Imperiums auf Chinesen trafen. Eine schwach ausgebildete, aber durch einige herausragende Reiseberichte bedeutsame Kontaktzone waren der Himalaya sowie Tibet, über das die Qing-Regierung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine protektoratsartige Oberhoheit ausübte. Hier gelingen überzeugende Interpretationen, bei denen auch das große Gewicht Kalkuttas als Zentrum britischer Wissenschaft im Osten zu seinem Recht kommt. Noch wichtiger ist die Beobachtung, dass bereits mehrere Jahrzehnte vor der Gründung der Kronkolonie Hongkong in Südostasien chinesische Bevölkerungsgruppen unter britische Kolonialherrschaft kamen, vor allem in Singapur und in Java, das während der napoleonischen Kriege ab 1811 für einige Jahre unter britische Kontrolle geriet. Ulrike Hillemann weist erstmals in der Literatur nachdrücklich darauf hin, dass dieser Kontakt mit der chinesischen Diaspora, die Auffassung sowohl von Administratoren als auch von Missionaren nachhaltig prägte. Die bis heute fortwirkende Ambivalenz, die in „dem Chinesen“ sowohl den gefügigen Arbeiter als auch den gefährlichen Konkurrenten sieht, wird treffsicher herausgearbeitet. Auch tauchte in Südostasien zum ersten Mal die Vorstellung von der Erziehbarkeit und Bildbarkeit solcher Chinesen auf, die außerhalb der Zwänge des kaiserlichen Herrschaftssystems standen.

Das letzte Kapitel ist den Anfängen wissenschaftlicher Chinastudien in Großbritannien gewidmet. Während die Verfasserin den Besonderheiten chinesischer Philologie nicht immer gerecht wird, kann man aus ihrer Darstellung der verschiedenen Versuche, China auf einer „Stufenleiter der Zivilisiertheit“ zu platzieren, viel lernen. Hier ergänzt das Buch die älteren Standardwerke zum Thema, ohne insgesamt an ihre Stelle treten zu können.

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21.01.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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